Führen beginnt innen: Warum die Unterscheidung von Emotionen, Gefühlen, Affekten und Verstand entscheidend ist

Immer wieder erlebe ich als Emotionscoach, dass Führungskräfte ihre Reaktionen nicht verstehen – einfach, weil ihnen die Unterschiede zwischen Emotion, Gefühl, Affekt und Verstand nicht klar sind.

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Klar führen beginnt mit klarem Fühlen

Warum verlieren wir in Meetings plötzlich den Faden? Wieso reagieren wir schroff – obwohl es gar keinen Grund dafür gibt? Oft läuft dieser Prozess unterbewusst ab. Der Grund: Emotionen agieren schneller als der Verstand. Doch um die eigenen Reaktionen besser zu steuern, braucht es mehr als gute Absichten – es braucht Verständnis für die Unterschiede zwischen Emotionen, Gefühlen, Affekten und Verstand.

Gerade im Führungsalltag ist diese Differenzierung entscheidend. Wer sich selbst besser versteht, führt klarer, wirkt authentischer – und bleibt auch in kritischen Momenten handlungsfähig.

E-Motion: Schnelles Signal und Bewegungsenergie aus dem Körper

Emotionen sind blitzschnelle, unbewusste Reaktionen auf innere oder äußere Reize. Sie entstehen in verschiedenen Bereichen des Gehirns – je nach Typ unterschiedlich. Stressauslösende Reize werden insbesondere in der Amygdala verarbeitet, während positive Emotionen wie Freude stärker mit anderen Arealen wie dem ventralen Striatum oder dem orbitofrontalen Cortex verknüpft sind (LeDoux, 1996; Kringelbach, 2005). Emotionen aktivieren das autonome Nervensystem, setzen Hormone frei und bereiten den Körper auf Handeln vor – noch bevor der Verstand eingreifen kann.

Emotionen sind:

  • Biologisch: Sie beeinflussen Herzschlag, Atmung, Muskeltonus – und signalisieren blitzschnell, ob Gefahr oder Sicherheit vorliegt.
  • Psychologisch: Sie steuern Aufmerksamkeit und Verhalten, meist unbewusst.
  • Sozial: Über Mimik, Tonfall und Körpersprache kommunizieren sie – auch kultur- und sogar artübergreifend. So zeigen etwa ein ängstlicher Mensch und eine ängstliche Katze ähnliche Reaktionen: geweitete Augen, angespannte Haltung, Rückzug.

Diese universellen Muster sind evolutionär über 200 Millionen Jahre alt, während die Areale für bewusste Sprachverarbeitung, Empathie und Selbstreflexion – im präfrontalen Cortex – sich erst viel später entwickelten.

Wichtig: Emotionen sind objektiv – sie bewerten nicht, sondern bereiten den Körper auf eine Reaktion vor. Und sie sind ansteckend: Über Körpersprache, Stimme oder Gesichtsausdruck übertragen sie sich unbewusst auf andere. Deshalb breitet sich z. B. Nervosität im Team schnell aus – auch wenn niemand etwas sagt.

Emotionen sind außerdem Handlungsenergien: Sie treiben uns zu Bewegung – entweder auf etwas zu oder davon weg. Wie der Emotionspsychologe Nico Frijda (1986) betont, sind Emotionen mit spezifischen „action tendencies“ verknüpft – also Handlungstendenzen, die unser Verhalten unmittelbar vorbereiten. Dies drückt sich auch darin aus, dass Emotionen unsere Mimik, Körperhaltung und Stimme unmittelbar mitbewegen.

Gefühl: Die bewusste Bewertung

Gefühle entstehen, wenn Emotionen vom Gehirn interpretiert und in einen Kontext gesetzt werden. Sie sind das Ergebnis einer Bewertung – oft geprägt von Erfahrungen, Erwartungen oder inneren Überzeugungen.

Wie der Neurowissenschaftler Antonio Damasio (1994) beschreibt: „Gefühle sind die bewusste Wahrnehmung der emotionalen Körperzustände.“ Sie geben den Emotionen einen Namen – etwa „Wut“, „Trauer“ oder „Freude“.

Was daraus wird, hängt stark von unserer individuellen Geschichte ab: Ein lauter Knall löst automatisch die Emotion „Schreck“ aus. Ob wir darauf mit Ärger, Angst oder Erleichterung reagieren, hängt davon ab, was wir erlebt haben, wie wir denken und was wir erwarten.

Psychologe Richard Lazarus ergänzt: Gefühle sind das Ergebnis einer kognitiven Bewertung („Appraisal“) – es gibt keine Emotion ohne Interpretation (Lazarus, 1991).

Wichtig: Gefühle sind subjektiv und können auch ohne äußeren Auslöser entstehen – etwa durch Gedanken, Erinnerungen oder Selbstgespräche. Sie sind also nicht ansteckend! Beispiel: Verliebe ich mich in eine Person, ist diese nicht automatisch in mich verliebt.

Affekt: Wenn die Kontrolle aussetzt

Manche emotionalen Reaktionen sind so intensiv und schnell, dass sie sich unserer Kontrolle entziehen. In der Fachsprache spricht man hier von Affekten – etwa plötzlicher Wutausbruch oder Tränen beim Sprechen. Sie dauern oft nur wenige Sekunden, sind aber sehr intensiv.

Affekte sind besonders relevant im Business-Kontext, weil sie Situationen eskalieren lassen können – etwa in Verhandlungen oder Mitarbeitergesprächen. Sie sind nicht willentlich steuerbar, können aber durch emotionale Klarheit besser vorgebeugt werden.

Verstand: Reflektieren, regulieren, entscheiden

Der Verstand sitzt im präfrontalen Cortex – dem Teil des Gehirns, der für strategisches Denken, Impulskontrolle, Sprache, Empathie und Selbstreflexion zuständig ist. Er ermöglicht es, emotionale Impulse zu reflektieren, Handlungen zu planen und situationsgerecht zu agieren.

Unter Stress jedoch wird der Zugriff auf diese Fähigkeiten deutlich eingeschränkt. Neurowissenschaftlerin Amy Arnsten (2009) zeigt, dass bei hoher emotionaler Belastung die Aktivität im präfrontalen Cortex sinkt – und damit genau jene Fähigkeiten geschwächt werden, die für besonnenes Führen notwendig wären.

  • Fazit: Der Verstand ist ein zentrales Steuerungsorgan – aber nur dann wirksam, wenn Emotionen zuvor erkannt und reguliert wurden.

Emotionale Selbstwahrnehmung: Der erste Schritt zur Führung

Führung beginnt innen. Wer nicht weiß, was im eigenen Körper passiert, reagiert impulsiv – statt bewusst zu agieren.

Antonio Damasio nennt das „somatische Marker“ – körperliche Signale, die anzeigen, ob eine Situation stimmig ist oder nicht. Diese Marker basieren auf früheren Erfahrungen – und können zu emotionalen Kurzschlüssen führen.

Beispiel: Wer in der Kindheit häufig kritisiert wurde, reagiert auf sachliche Rückfragen möglicherweise mit Angst oder Scham – selbst wenn objektiv kein Angriff vorliegt.

Emotionen bewusst steuern: Der Weg zur Selbstführung

Emotionale Selbstführung bedeutet nicht, Emotionen zu unterdrücken – sondern sie differenziert wahrzunehmen, zu benennen und bei Bedarf bewusst zu regulieren. Sie erfordert Klarheit, Achtsamkeit und gezielte Einflussnahme.

Ziel ist es, emotionale Reaktionen frühzeitig zu erkennen, innere Prozesse besser zu verstehen – und dadurch auch in kritischen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Ein emTrace®-basiertes Emotionscoaching unterstützt Führungskräfte dabei, emotionale Muster zu erkennen, zu lösen und nachhaltig zu verändern – wissenschaftlich fundiert und praxisnah.

Fazit: Wer differenziert, führt klarer

Emotionen, Gefühle, Affekte und Verstand – wer ihre Unterschiede kennt, versteht die eigene Reaktion besser und kann sie gezielter regulieren. Diese Differenzierung ist keine Spielerei, sondern der Schlüssel zu emotionaler Klarheit – und damit zu echter Führungskraft.

Weiterführende Literatur und Studien

– Damasio, A. (1994). Descartes’ Error: Emotion, Reason, and the Human Brain. Putnam.
– LeDoux, J. (1996). The Emotional Brain. Simon & Schuster.
– Kringelbach, M. L. (2005). The Human Orbitofrontal Cortex: Linking Reward to Hedonic Experience. Nature Reviews Neuroscience.
– Frijda, N. H. (1986). The Emotions. Cambridge University Press.
– Lazarus, R. S. (1991). Emotion and Adaptation. Oxford University Press.
– Barrett, L. F. (2017). How Emotions Are Made: The Secret Life of the Brain. Houghton Mifflin Harcourt.
– Ekman, P. (1992). An Argument for Basic Emotions. In: Cognition and Emotion, 6(3/4), 169–200.
– Arnsten, A. F. T. (2009). Stress signalling pathways that impair prefrontal cortex structure and function. Nature Reviews Neuroscience, 10(6), 410–422.

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