Emotionale Kontrolle ist keine Glückssache – sondern eine trainierbare Führungsqualität.
Meetings, Mitarbeitergespräche, Präsentationen – moderne Führung ist ein permanenter Drahtseilakt. Und manchmal ist es einfach zu viel: Wir reagieren impulsiv, fühlen uns blockiert oder sagen Dinge, die wir später bereuen. Was in solchen Momenten fehlt, ist nicht Wissen oder Erfahrung, sondern emotionale Steuerung.
Neurowissenschaftliche Studien zeigen: Wer seine Emotionen regulieren kann, trifft bessere Entscheidungen, bleibt handlungsfähig – und gewinnt das Vertrauen anderer. Die gute Nachricht: Emotionsregulation ist trainierbar. Und es braucht keine jahrelange Ausbildung, sondern gezielte Techniken, die im Alltag wirken.
Warum Emotionsregulation so entscheidend ist
Stress aktiviert das limbische System – den Teil unseres Gehirns, der für emotionale Reaktionen zuständig ist. Gleichzeitig schränkt das Gehirn die Aktivität im präfrontalen Cortex ein – dort, wo rationale Entscheidungen getroffen werden. In Stressmomenten denken wir also sprichwörtlich „weniger klar“.
Studien belegen: Emotionsregulation aktiviert genau diese kognitiven Kontrollbereiche wieder (Lehrer & Gevirtz, 2014; Porges, 2011). Führungskräfte, die gezielte Strategien einsetzen, sind empathischer, lösungsorientierter – und resilienter.
Praxisbeispiel: Präsentation unter Druck
Eine Führungskraft präsentiert vor dem Vorstand ein neues Projekt. Ein Vorstandsmitglied hakt kritisch nach – scharf im Ton, fordernd im Inhalt. Im ersten Moment steigt Nervosität auf: Der Atem wird flach, die Gedanken blockieren, die innere Stimme meldet sich mit Zweifeln.
Doch statt sich von der Emotion überwältigen zu lassen, ruft sich die Führungskraft eine eingeübte Technik ins Bewusstsein: zwei bewusste Atemzüge im Rhythmus der Resonanzatmung – vier Sekunden ein, sechs Sekunden aus. Die Aufmerksamkeit wird gezielt gelenkt: „Was ist jetzt wirklich gefragt?“ Durch diese Mini-Intervention gelingt es, sich zu sammeln, ruhig zu bleiben und sachlich wie souverän zu antworten.
Nach dem Termin ist klar: Die Präsentation war nicht nur fachlich überzeugend – sie wurde auch durch die persönliche Haltung getragen. Ein typisches Beispiel dafür, wie einfache Emotionsregulationstechniken große Wirkung entfalten können – sowohl nach innen als auch nach außen.
Drei sofort anwendbare Techniken zur Emotionsregulation
Es gibt zahlreiche Methoden zur Emotionsregulation. Für den Alltag von Führungskräften haben sich drei besonders wirksame, wissenschaftlich fundierte Techniken bewährt. Sie lassen sich innerhalb von Minuten einsetzen – mit großer Wirkung auf Klarheit, Präsenz und innere Stabilität.
1. Resonanzatmung – Rhythmus, der das Nervensystem beruhigt
Was ist das? Eine wissenschaftlich validierte Atemtechnik, die den Parasympathikus aktiviert und die Herzratenvariabilität (HRV) erhöht – ein Marker für Resilienz.
So funktioniert sie:
- 4 Sekunden durch die Nase tief in den Bauch einatmen
- 6 Sekunden langsam durch die Nase ausatmen
- Die Brust bleibt ruhig – Fokus liegt auf der Zwerchfellatmung
- Für 3–5 Minuten regelmäßig üben, idealerweise täglich
Warum wirkt es? Resonanzatmung harmonisiert das autonome Nervensystem, reduziert Stresshormone und aktiviert den präfrontalen Cortex – der Ort für Fokus und Entscheidungsfähigkeit.
Wann anwenden? Vor wichtigen Gesprächen, nach Konflikten oder als tägliches Morgenritual.
2. Mentale Aktivierung – Den Fokus gezielt umlenken
Was ist das? Eine kognitive Technik, die emotionale Reizreaktionen durch bewusste Gedankensteuerung unterbricht.
So funktioniert sie:
- Rückwärts zählen, zum Beispiel in 7er-Schritten (100, 93, 86, …)
- Gedanken bewusst umlenken: „Was war mein schönster beruflicher Moment im letzten Monat?“
- Eine Gedächtnisübung starten: Telefonnummer merken und rückwärts aufsagen
Mentale Aktivierung unterbricht emotionale Autopiloten, bringt den präfrontalen Cortex „zurück online“ und reduziert impulsives Verhalten.
Wann anwenden? Unmittelbar vor hitzigen Meetings, bei aufkommender Gereiztheit oder innerer Unruhe.
3. Achtsamkeit – Im Hier und Jetzt stabil bleiben
Was ist das? Eine bewährte Methode, um gedankliches Abschweifen und Grübelspiralen zu stoppen – durch bewusste Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments.
So funktioniert sie:
- Achten Sie für 1–2 Minuten nur auf Ihren Atem
- Spüren Sie, wie die Luft durch die Nase ein- und ausströmt
- Richten Sie Ihre Sinne nach außen: Was hören, sehen, riechen Sie gerade?
- Beobachten Sie Gedanken wie Wolken – kommen und gehen lassen, ohne zu bewerten Warum wirkt es?
Achtsamkeit beruhigt das Stressnetzwerk im Gehirn, fördert Selbststeuerung und stärkt emotionale Resilienz (Goleman, 1995).
Wann anwenden? Täglich als Prävention. In akuten Momenten nur wirksam, wenn zuvor regelmäßig geübt wurde.
Fazit & Empfehlung
Selbstführung beginnt mit Emotionsregulation. Wer seinen inneren Zustand beeinflussen kann, gewinnt Handlungsfähigkeit zurück – selbst unter Druck. Die drei vorgestellten Techniken benötigen kein Equipment und keine großen Vorkenntnisse – nur etwas Übung und die Bereitschaft, sich selbst ernst zu nehmen. Regelmäßiges Training, insbesondere bei der Achtsamkeit, macht sie auch in Stressmomenten zuverlässig abrufbar.
Weiterführende Literatur und Studien
– Goleman, D. (1995). EQ – Emotionale Intelligenz: Warum sie wichtiger ist als der IQ. Deutscher Taschenbuch Verlag.
– Lehrer, P. M., & Gevirtz, R. (2014). Resonant Frequency Heart Rate Variability Biofeedback. Applied Psychophysiology and Biofeedback.
– Porges, S. W. (2011). Die Polyvagal-Theorie: Neurophysiologische Grundlagen der Emotionen, Bindung, Kommunikation und Selbstregulation. Norton.
– Eilert, D. W. (Jahr). Integratives Emotionscoaching mit M-Trace. Junfermann Verlag.
– Craig, A. D. (2015). How Do You Feel? An Interoceptive Moment with Your Neurobiological Self. Princeton University Press.